Der Grundwiderspruch heute lautet, dass die Rationalisierung der Arbeitsplätze aufgrund immer effizienterer Abläufe und besserer Konstruktionen der Maschinen nicht den Arbeitenden zugute kommt – indem sie wenig bis gar nicht mehr arbeiten müssten, also freie Zeit zurückgewinnen und gleichzeitig die Früchte jener Errungenschaften in Form sozialer Absicherung genießen könnten. Dinge, die schon heute möglich sind, wenn das ideologische Dogma der Vollbeschäftigung endlich ad acta gelegt wird und der immense Reichtum sowie die Produktionsmittel gerecht verteilt werden. Solange beides nicht politisch und gesetzlich geregelt wird, gibt es keinen vernünftigen Grund arbeiten zu gehen.
In einer Gesellschaft, in welcher alle Tätigkeiten danach entlohnt oder eben nicht entlohnt werden, ob sie einen finanziellen Mehrwert erschaffen, und nicht danach, ob sie einen »Mehrwert« für menschliche Bedürfnisse oder Belange des guten Zusammenlebens schaffen, geht es lediglich darum zu funktionieren. Alles wird danach ausgerichtet und durchzieht in der Konsequenz auch die private Sphäre. Erziehung, Familie, Liebesbeziehungen werden dahingehend zugerichtet, dass sie in der Außenwirkung gut dastehen, nach außen hin funktionieren – und sich »lohnen«.
Das Innere, also die Bedürfnisse, geheimen Wünsche, das eigene Glücksempfinden, das libidinöse Verlangen, bleibt dabei nicht nur auf der Strecke – es gerät immer weiter in Vergessenheit und wird gar nicht mehr als Wert oder Triebfeder einer zivilisierten Menschlichkeit gedacht. Es geht nicht mehr um das ständige und widersprüchliche Austarieren der angetroffenen Wirklichkeit mit den inneren Bedürfnissen, um so wenigstens die Möglichkeit eines Kompromisses zwischen eigenen Wünschen und äußeren Notwendigkeiten zu finden, immer unter der Prämisse des möglichst bequemen Lustauslebens – denn wenn es nicht darum geht, wofür dann das alles –, sondern nur noch darum, sich nach den Maßgaben einer angeblich alternativlosen und äußeren Zwängen unterworfenen Welt zu arrangieren. Hocheffizient und flexibel in ihr aufzugehen, ohne einmal »Ich« sagen und wirklich meinen zu dürfen – denn dann würde jenes System angeblich zusammenbrechen und wir alle dabei draufgehen.
Martin Nevoigt, Besinnt euch! in: Haus Bartleby, Sag alles ab! Edition Nautilus Verlag