Auf der Plattform von Simone de Beauvoirs schöner Formel «Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es» hatten sich alle versammeln können, die für die rechtlich-soziale Gleichstellung der Geschlechter eintraten. Dem feministischen Dekonstruktivismus war das nicht radikal genug. Da war «Frau» ja noch das Gegenstück zu «Mann»; da wurde noch binär gedacht. Hatte sich nicht aber die Binarität als Wurzel allen Übels, namentlich des Patriarchats und des Kapitalismus, geoffenbart?
Wo immer der Feminismus dieser Offenbarung aufsaß, betrieb er nun seine Selbstabwicklung, die Vervielfältigung der Geschlechter und ihre Auflösung in Kategorien des Zugehörigkeitsempfindens. Jede Fraktion der LGBTTI-Community gründet sich auf nichts als Empfindung. Ihre Identität hängt davon ab, daß sie sich angemessen spürt. … Das ist Ontologisierung der Empfindung zur ultima ratio. Ihre soziale Ausdrucksform ist Empfindlichkeitspolitik. Jede Fraktion muß permanent darauf achten, ob ihre Besonderheit in der Öffentlichkeit angemessen repräsentiert ist, ob es genügend Toiletten für sie gibt, ob Worte so gegendert werden, daß auch sie dabei ausdrücklich eingeschlossen sind. Der Geschlechterkampf diffundiert zum Vielfrontenkampf von lauter Diversen, die sich permanent benachteiligt fühlen und aufs empfindlichste ihre Berücksichtigung und Inklusion verlangen, ohne das gesellschaftliche Ganze, in das sie eingeschlossen zu werden wünschen, noch nennenswert zu thematisieren.
Christoph Türke, Natur und Gender. Kritik eines Machbarkeitswahns