Bis heute beansprucht das Narrativ der Psychoanalyse erstens eine Wissenschaft zu sein und zweitens darin eine Struktur aufdecken zu können, die sowohl für die Konstituierung des Subjekts als auch der Gesellschaft determinierend ist – trotz starker Konkurrenz durch die Kognitions- und Neurowissenschaften, dem Bedeutungsverlust ihrer Praxis durch den Aufstieg der Pharmaindustrie und neuer Medikamente. Sogar ein selbstverschuldetes Versagen kann ins Treffen geführt werden, das darin liegt, keine angemessene Antwort auf die Veränderungen in der Gesellschaft und ihrer Pathologien zu haben, die von einer Pflicht zum Verzicht zu einer Pflicht zum Genuss übergangen zu sein scheint.
Michael Schmid, Das Paradox des sozialen Bandes. Psychoanalytische Perspektiven